Lücke in GDP-Gesetzgebung gefährdet Arzneimittel

Von besonderer Bedeutung sind die GDP-Leitlinien (EU Good Distribution Practice Guidelines) für alle in der Lieferkette involvierten Parteien wie Hersteller, Großhändler und Transportdienstleister. Eine Forderung ist, dass die Lagerungsbedingungen prinzipiell auch beim Transport einzuhalten sind (§9.2 Transport: "Die erforderlichen Lagerbedingungen für Arzneimittel sollten während des gesamten Transportweges innerhalb der vom Hersteller auf der äußeren Umhüllung angegebenen Grenzen gehalten werden."). Ziel ist, dass Arzneimittel den Kunden (Patienten) ohne qualitätsmindernde Einflüsse erreichen. Das Problem ist, dass Versandapotheken nicht direkt an diese Vorgaben gebunden sind (die EU-GDP Leitlinien gelten nicht für Versandapotheken). Das ist in der Tat verwunderlich, denn Lieferungen durch den pharmazeutischen Großhandel erfolgen meist innerhalb weniger Stunden, während beim Online-Handel durchaus längere Zeiten zu erwarten sind. Vielen Kunden ist dies bei einer Bestellung im Internet (z.B. einer Versand- oder online-Apotheke) nicht bewusst.

Hierzu hat nun das European Institute for Pharma Logistics EIPL eine Feldstudie durchgeführt - mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen.

Wie wurde vorgegangen?

Um die Temperaturbedingungen beim Transport über Paketdienste nachzuvollziehen wurden zwei Ansätze gewählt:

1. Vom EIPL wurden im Januar/Februar 2017 verschiedene Medikamente bei sieben verschiedenen Versand-Apotheken bestellt. Ziel war es, nachzuvollziehen, welche Maßnahmen die Versand-Apotheken treffen, um temperaturempfindliche Ware entsprechend auf dem Transportweg zu schützen. Bestellt wurden zum Beispiel:

  • Paracetamol Saft für Kinder (nicht unter 8°C lagern. Nicht im Kühlschrank lagern oder Einfrieren)
  • Bromelaintabletten hysan  (im Kühlschrank lagern, bis zu 4 Wochen auch außerhalb des Kühlschranks, jedoch nicht über 25 °C)
  • Mutaflor Suspension (bei 2°C bis 8° im Kühlschrank aufbewahren)
  • Lamisil Spray (nicht über 30°C lagern. Nicht im Kühlschrank lagern oder einfrieren)

2. Das Institut hat 100 Test-Päckchen, ausgestattet  mit Temperatur-Sensoren, über fünf von Versand-Apotheken standardmäßig genutzte Paketdienstleister verschickt. Hierzu wurde eine kalte Woche im Januar 2017 gewählt. Die Päckchen wurden an falsche, nicht existente Empfänger geschickt, so dass die Päckchen als unzustellbar zurück an die EIPL GmbH geliefert wurden. Ziel war es, die Temperaturbedingungen nachzuvollziehen, welche beim Transport mit den Dienstleistern auftreten.

Laut Pressemitteilung und der Concept Heidelberg vorliegenden EIPL-Studie sind die Ergebnisse der Temperatur-Studie "alarmierend". Hier ein paar Beispiele:

Studienansatz 1:

  • Durch die Beigabe von Kühlakkus durch die Versand-Apotheken wurden die Arzneimittel neben den ohnehin schon kalten Außentemperaturen fahrlässig zusätzlich extremen Temperaturbedingungen innerhalb des Paketes ausgesetzt. Ein Paracetamol Saft, der gemäß Hersteller und Beipackzettel nicht unter +8 Grad Celsius gelagert (und damit transportiert) werden darf, wurde zum Versand direkt auf einen tiefgefrorenen Kühlakku gelegt.

Abbildung 1: Paracetamol Saft zusammen mit andern (kühlpflichtigen) Medikamenten und einem Kühlakku (Bildquelle: EIPL GmbH)

  • Lieferungen wurden z.T.in handelsüblichen Versandkartons bei niedrigen Außentemperaturen vor die Haustüre auf den kalten Boden gestellt.
  • In einer Lieferung waren die Arzneimittel "in altes Zeitungspapier verpackt sowie Luftpolster ohne Luft, Tüten, also Abfall". Ein Kühlakku war dem handelsüblichen Versandkarton beigelegt worden, in dem alle Arzneimittel zudem zusammen zugesendet wurden.

Abbildung 2: Verpackungsmaterial (Bildquelle: EIPL GmbH)

  • Bei fünf der sieben Versand-Apotheken wurden die kühlpflichtigen und nicht kühlpflichtigen Arzneimittel nicht getrennt voneinander versendet.
  • Temperatursensible Medikamente wurden von den Versand-Apotheken oft nur in "normalen Versandkartons" geliefert - und "damit unzureichend geschützt vor zu tiefen oder zu hohen Temperaturen".

Abbildung 3: Temperatursensible Medikamente in einem Standard-Versandkarton (Bildquelle: EIPL GmbH)

Studienansatz 2:

  • Die Auswertung der mit Sensoren bestückten Päckchen verdeutlichte, dass "die Temperaturbedingungen in vielen Fällen nicht eingehalten werden können". Zum Teil sanken die Temperaturen in den Päckchen unter 0°C:

    Transportdienstleister

    Durchschnittstemperatur auf dem Transportweg

    A

    3,51°C

    B

    3,19°C

    C

    1,36°C

    D

    2,84°C

    E

    -0,22°C

    Durchschnittstemperaturen - Zeitraum: Start der Bearbeitung bis zur Zustellung, ohne Retourweg (Quelle: EIPL Temperaturstudie)
  • Die maximal gemessene Temperatur lag bei 35,9°C, die niedrigste bei -12,5°C. Im Durchschnitt befanden sich die Päckchen bei über der Hälfte der Transportzeit außerhalb eines Temperaturbereichs von 2-8°C.
  • Viele der Test-Päckchen wurden bei anderen Empfängern abgegeben, sechs der 100 Test-Päckchen gingen komplett verloren.
  • Auf Anfrage bei allen fünf Dienstleistern nach der Möglichkeit eines temperierten Transports, erhielt EIPL lediglich eine Rückmeldung nach mehreren Tagen: "Für einen temperierten Versand wäre ein Jahresvolumen von mehr als 1000 Päckchen erforderlich."
  • Ein anderer Dienstleister teilte EIPL erst  auf unsere mehrfache aktive Rückfrage mit, dass "ein temperierter Transport nicht Teil seines Portfolios sei."

Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Daten zeihen?

  • Temperiert zu transportierenden Medikamente werden oft in herkömmlichen Fahrzeugen ohne aktive Temperaturführung befördert. Laut Studie bedarf es aber bei knapp 20 Prozent aller OTC-Arzneimittel einer Lagerung in einem bestimmten Temperaturbereich, z.B. bei 2-8°C oder 15-25°C.
  • Kälteempfindliche Medikamente werden oft zusammen mit kühlpflichtigen Medikamenten verpackt und geliefert.
  • Der Kostenaspekt steht im Vordergrund: "Aus unserer Sicht zeigt der Feldtest deutlich auf, dass das Konzept der Online-Versandapotheken nicht aufgeht. Denn beim jetzigen Versandweg über die herkömmlichen Paketdienstleister bleiben die Transportqualität und damit die Patientensicherheit ganz klar auf der Strecke", warnt EIPL-Geschäftsführer Christian Specht. "Deshalb sagen wir ganz klar, dass auch der Versandweg der Online-Apotheken GDP-Kriterien genügen muss. Wir fordern den Gesetzgeber auf, diese Schwachstelle zu beheben und eine klare Regelung bezüglich der Distribution der Online-Apotheken zu erlassen."

Bereits 2015 wurde diese Problematik vom Branchenverband der deutschen Arzneimittelgroßhändler kritisiert. Viel getan hat sich seither leider nicht. Auch die Apothekerkammer Nordrhein hat bei einer Stichprobe festgestellt, dass die Temperatur in Päckchen während des Arzneimittelversands an sehr heißen Tagen während der Hälfte der Transportzeit über den für die Lagerung von Arzneimitteln maximal zulässigen 25 °C lag. (DAZ.online 14.12.2015 - BMG zu Temperaturführung, Versand ist nicht gleich Versand).

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